Leon Kahane (geb. 1985 in Berlin) schloss zunächst eine Fotografenausbildung an der BEST-Sabel Berufsfachschule für Design und der Ostkreuzschule für Fotografie in Berlin ab und studierte anschließend an der Universität der Künste Berlin. Er lebt und arbeitet derzeit in Berlin. Themen wie Migration, Identität und Debatten um Mehrheiten und Minderheiten in einer globalisierten Gesellschaften stehen im Mittelpunkt seiner Videoarbeiten, Fotografien und Installationen. Seine eigenen Erfahrungen und sein biografischer Hintergrund spielen eine wichtige Rolle für den Künstler. Er gewann 2015 den Kunstpreis Europas Zukunft und gründete 2018 das Forum demokratische Kultur und zeitgenössische Kunst.
2022,
Fine Art Prints auf Alu-Dibond
Leon Kahane: „2014 erhielt mein Vater eine E-Mail vom Deutschen Historischen Museum (DHM). Akten aus den Nürnberger Prozessen gegen die Hauptkriegsverbrecher waren im Archiv des DHM aufgetaucht. Sie stammten aus dem Nachlass meines Großvaters und sollten nun 2015 in der Ausstellung 1945 – Niederlage. Befreiung. Neuanfang gezeigt werden. Mein Großvater, Max Kahane, begleitete den Prozess zusammen mit meiner Großmutter Doris Kahane als Berichterstatter für die sowjetische Presse. Die gesammelten Prozessakten bestehen aus Protokollen der Verhandlungstage und ausführlichen Unterlagen mit Hintergrundinformationen zu den einzelnen Anklagepunkten. Mein Großvater übergab seinen gesamten Aktenbestand im Jahr 1956 dem DHM, das damals noch Museum für Deutsche Geschichte hieß. Wir wussten nicht, wo die Akten abgeblieben waren. Sieben Jahre nach der Ausstellung im DHM sah ich die Akten erneut durch und mir fiel auf, dass mein Großvater einen Index angelegt hatte. Er sortierte die Akten und nummerierte sie. Die Nummern schrieb er auf die Rückseiten von politischen Plakaten aus der noch jungen DDR, die er zu Deckblättern im Format A4 zerrissen hatte. Die Plakate waren der ästhetische Ausdruck eines politischen und kulturellen Selbstbilds, das die Selbstbehauptung als antifaschistischer Staat legitimieren sollte. Eine ernsthafte Auseinandersetzung auf Grundlage dieser Selbstbeschreibung und Selbstentlastung von der eigenen Nazi-Vergangenheit fand niemals statt. Jetzt haben diese Plakate, die einmal eine politische Aussage transportierten und dann als Deckblätter für die Nürnberger Prozessakten dienten, eine neue Gestalt angenommen. Sie sind nun Bilder einer Geschichte, die im Namen des realen Widerstands gegen den Nationalsozialismus, aber nicht genug von den Menschen, die wirklich im Widerstand waren, erzählt worden ist. Die Instrumentalisierung einer Geschichtsschreibung, die nicht kritisch geprüft, sondern idealisiert worden ist, hat konkrete Auswirkungen auf die Gegenwart und Zukunft, wie wir am Beispiel der Ukraine sehen können.“
neue Gesellschaft für bildende Kunst (nGbK), station urbaner kulturen/nGbK Hellersdorf, Between Bridges, Prater Galerie
23. Februar–9. Juni